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DieVisitor "Der erste Stein"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

05-2021

Label: 

Genre(s): 

Die Brandenburger StreetPunkband DieVisitor dürften dem/der Ein- oder Anderen in Brandenburg, Berlin und Umland nicht gänzlich fremd sein, zumal sie schon seit 2.005 ihr unwesen treiben und es in der Vergangenheit nicht nur in so "illustre" Gazetten wie "Der Tagesspiegel" schafften, wo man einst die Indizierung seitens der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (*kurz BPjM) eines Releases (was die Demo CD "Anti" [*2.010 erschienen] war) zum Anlass nahm, um darüber im Kontext eines Artikels zu berichten. https://www.tagesspiegel.de/politik/verfassungsschutz-mehr-linksextremis...

Hauptgrund der Erwähnung war das Stück "Copkiller", dass es in ähnlicher Form bereits (inhaltlich, wie auch musikalisch ganz anders umgesetzt) in der Vergangenheit u. a. auch von Bands wie Body Count gegeben hatte. Dass die Presse diese Umstände ein Jahr nach Veröffentlichung thematisierte, spricht für sich selbst. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, können die Jäger & Sammler unter euch dieses Stück (nebst eines weiteren) in "zensierter" Form auf dem hier vorliegenden Album abgreifen. Es gilt (wie so oft) in diesen Zeiten, wer schnell ist, kann ein Exemplar bei Anarchy Of Sounds Records ergattern. 

Vom ursprünglichen Quartett sind DieVisitor nun auf ein Duo geschrumpft, was auch musikalisch gesehen nicht nur mehr Spielraum/Freiheiten mitbringt, sondern auch sämtliche Stil-Schubladen neu öffnet. Fu, der auch bei Exkrement Beton an der Gitarre ist, hat die Zeit effektiv genutzt und einiges an Neumaterial geschrieben, das hier ins Ziel geht. Von den Instrumenten her hat Fu bis auf das Schlagzeug alles selbst eingespielt. Am Schlagzeug hört Ihr Brian von der Band Jardin.

Bei vielen Bands bleibt selten lange der klangliche Charme vom Demostatus gewahrt, sei es dank der oft zu glatteren Produktion (soundmäßig) oder sei es der Reifungsmilde wegen, die aus einst schön ruppigen Bands wie z. B. den Toten Hosen, Broilers etc. schon auch mal 'ne weichgespülte Pop zugeneigte Punk Rock Band werden lassen kann. Das muss jedoch nicht zwingend so laufen. Die Geschmäcker unterscheiden sich diesbzgl. nun mal. Was DieVisitor angeht, so bekommt Ihr hier '80er/'90er Jahre DeutschPunk, bei dem auch mindestens ein Fuß im Stiefel des Oi! Punk steckt oder wie es die Info so treffend formuliert: "dreckig, unverblümt (fast unzensiert) und direkt vor's Fressbrett." 

Per "Intro" (Track 1) wird das "Fressbrett" vorgespannt, um mit "Anti" (Track 1) den ersten-, in schön dreckangereichterem-, eher einfach gestrickten Punk Sound zu starten, der trotzdem als zeitgemäß durchgeht. Im Grunde schicken DieVisitor zunächst einmal als Ausrufezeichen voraus, wogegen sie (ein)stehen. 'N ganz guter Absprung von der Startrampe, der mit dem etwas härter gefederten Albumtitelstück "Der erste Stein" (Track 2) ein klein wenig Schleim-Keim im Kernquerverweis im Beiboot hat. Inhaltlich bin ich für meinen Fall (das sage ich ganz ehrlich frei raus) noch nie ein Fan fliegender Steine gewesen, weil es immer auch Unschuldige trifft, die entweder 'nen zeitweilig beschissenen Job als "Steineabfänger" haben oder aber eine einfach per Zufall unglücklich die Flugbahn kreuzen. Steine können töten, so viel ist sicher. Daran gibt es aus meiner Sicht nichts zu rütteln. Dennoch verstehe ich die im Stück grob umrissene Wut/Frustration, die sich hier ein musikalisches Ventil sucht. Gerade in den letzten Jahren winkte man hierzulande nicht nur eindeutig rechte Täter zu oft durch oder strafte diese viel zu milde, so dass wohl kaum ein Denkvorgang bei den Täter/-innen angestoßen wurde, nein auch die blinde Gewalt gegen Demonstrant/-innen dürfte Teil der (hier im Ansatz gemeinten-) Thematik sein, die musikalisch stark umgesetzt wurde. "Oi! ein Leben lang" (Track 2; Anspieltip I) geht thematisch in eine ganz andere Richtung, nämlich in Richtung Herzensangelegenheit, zumindest, wenn man dem Text nach geht. Textlich zwar mit eigener Note/Handschrift versehen, aber nicht komplett neu. Vielleicht liegt es in der Natur des Oi Skin/Punk Daseins, dass man den "Way Of Life" schlichtweg nicht anders be-/umschreiben (feiern) kann? Mit anderen Worten, hier kann man locker den Kopf abschalten und einfach gepflegt ein Bier beim Feiern des "United" Gedanken aufmachen. Das Stück macht einfach nur Spaß und Bock auf Konzerte. :) Was mir besonders gefällt, ist die entstaubte Old School Unternote, die hier mitschwingt. 

Etwas tiefsinniger angelegt, geht es bei "Denunziant" (Track 3) zu. Dieses zeitlose Phänomen/Semi-Phantom ist auch heutzutage gern am Start, ob online oder im sogen. "Buschfunk". Wer den Busch nicht trimmt, hört es auch funken. ;-) Auch dieses Stück reiht sich in die bisher gehörten-, eher kurz gehaltenen Stücke ein, die mit leichtem Zugang musikalisch alles richtig machen. Kein zuviel, sondern einfache Ohrenkost. Es mag Leute geben, die hierbei eine 3-Akkorde-Diskussion aufmachen- und fragen würden, ob das noch zeitgemäß sei? Ich würde angehörs von DieVisitor antworten, dass es funktionieren/andocken muss und das tut die Mucke hier, trotz- oder wegen(?) der einfachen Art. Dank dieser bislang eher angenehm einfachen Spielweise, kommen auch die Texte frei(er) zur Geltung und können ggf. auf diese Weise auch bei einigen den Gedankenlauf anregen, so wie es auch "Kein Skinhead" (Track 4) hergibt. "Kein Skinhead" nimmt die sich auch heutzutage noch gern als "Oi Skins" verkaufenden Nazi Skins vor, die einer tatsächlichen Mogelpackung gleichkommen. Der durchschnittliche Nazi Skin sieht zwar vielleicht ähnlich aus, aber bei den Nazi Skins ist kein "69 Movement" in den Stiefeln, sondern allenfalls ein braun-verseuchter "Thor Steinar" Clown, der vielleicht ähnlich aussieht, aber hinter der Maske einfach nur zum Heulen ist. Wenn diese Art von "aufrichtigen Deutschen" (wie sie sich gern selbst betiteln) das Ergebnis dessen ist, was einst unter dem "Land der Dichter und Denker" weltweit hohes Ansehen genossen hat, dann gute Tiefstnacht! Mal ganz davon abgesehen, käme keine/-r, der/die den Oi! Grundgedanken (auch geschichtlich) wirklich verstanden hat, auf die Idee sich zur zahlungswilligen Kaufmaschine irgendeiner Marke machen zu lassen, nur um sich damit das Gefühl zu erkaufen "real"/"true Rebel" zu sein, zumal bestimmte Marken einfach nur scheiß viel Kohle abziehen wollen, auch wenn nachhaltige-, FairTrade Qualität (sofern überhaupt vorhanden) ihren Preis haben mag.

Musikalisch gesehen, gefallen mir vor allem die Bassläufe, die dem Stück selbst eine schöne Würze mitgeben, während nach hinten raus sogar mal Keyboards zu hören sind. 

Gut, dass nach so viel gedankentieferer Kopfkost, auch mal etwas Auflockerung rumkommt - "Bitte geh' noch nicht" (Track 5; Anspieltip II). Stimmlich kommt Fu hier wie eine Mischung aus nicht ganz so kehlig angesiedelten Schleim-Keim und Atemnot rüber. Diese Art von Spätgeburt eines Lovesongs der anderen Art hat genau die Art von Punkromantik inne, die das fiktive inwendige Lagerfeuerfeeling braucht. Vermutlich eine authentische Story, denn auf sowas kommt man sicher nicht mal eben nebenbei. ;-) Nach so viel Herzkost, darf es auch mal wieder pogoaffiner-, ruppiger werden und dafür ist "Egal (Atonal)" (Track 6; Anspieltip III) genau die richtige Nummer. Flüssig reinlaufend und wie einige Stücke zuvor auch etwas Metal Einflüsse mit auf den Saiten, was auch beim folgenden-, einst polarisierendem "Copkiller" (Track 7) der Fall ist. Eine leichte Saitenbrücke zum heutigen Body Count Sound kann man stellenweise auch ausmachen. Das Stück mag ethisch-moralisch nicht frei von diskussionswürdigen Ansätzen sein, sollte aber nicht zu überernst genommen werden, denn wann hat hieruzulande ein Punk/Oi Skin tatsächlich je einen Cop gekillt? Da sollte man aus gesellschaftlicher/BPjM Sicht betrachtet vergleichsweise vielleicht eher mal das rechte Auge aufmachen. 

Ein weiteres klasse Stück zum kollektiven Abgehen findet sich in "Abschaum" (Track 8). Auch hierbei kann man den Kopf locker unter'm Arm spaizieren tragen, während mucketechnisch etwas mehr Nähe zum HardcorePunk aufkommt, die die eingangs erwähnten '80er/'90er Jahre temporär zurückbringt. Klasse Stück! Was "Der erste Stein" an Frustration tiefer-, jedoch zum Albumstart noch nicht genauer ausgeführt, im Innern hatte, erklärt sich u. a. per "Innenstadt" (Track 9; Anspieltrack IV) etwas näher. Sinnloser Verfall von leerstehenden Gebäuden und die Besetzung derselben, sind hierzulande spätestens seit Ton Steine Scherben ein öffentlich breites Diskussionsthema, das leider immer wieder mit der Taktik der Räumung (anstatt einer dauerhaften, friedlichen Einigung) gehandhabt wird. Ein unglaublich wichtiges Thema, das leider auf den Alben heutzutage etablierter Punk/Punk Rock Bands selten bis gar nicht mehr auftaucht. Umso besser, dass DieVisitor hiermit ein wichtiges Zeitzeichen setzen. Chapeau!

Spätestens seit der Coronapandemie sind Reisen ein weit verbreitetes Egothema, das viel umtreibt. Ob Ballermann oder Thailand - es läuft auf fast dasselbe hinaus - "Kapital" (Track 10; Anspieltip V). Hut ab, dass DieVistor hier mit so wenig Text so viel in nur 1:10 Minute sagen! Von draußen geht es nun mit "Der Versuch zu fliegen" (Track 11) nach ganz tief drinnen und hat die "dunklen Tage" im Schlepptau. Alles andere als heiter - in diesem Falle sogar schwer-wolkig. Ähnlich verbleibt man (nur thematisch ganz anders gelagert) auch bei "Leise geweint" (Track 12) unter tiefhängenden Wolken. Bei diesem Stück gebe ich ganz bewusst die Triggerwarnung für Missbrauchsopfer raus. Musikalisch hebt sich "Leise geweint" stark von den bisher gehörten Stücken ab, was erst nach hinten zurück zum roten Faden kehrt. Stellenweise fühle ich mich an die Band Absturz erinnert. 

Noch etwas vom Thema und der Mucke durchzogen, läuft "Hol' mich hier raus" (Track 13) leider etwas vorbei/zu schnell durch. 

"Prinzessin" (Track 14) fährt zwar auch wieder noch mehr Abwechslung auf den audiblen Bildschirm, serviert aber eher eine nicht ganz so kurze Quickienummer zum Zwinkern. Bevor einige sich im Nachgang berufen fühlen über Sexismus bzgl. dieses Stückes ein Faß aufmachen zu wollen, sei gesagt, dass DieVisitor bereits zu Alkbumbeginn bei "Anti" unmissverständlich klargestellt haben, dass sie gegen Sexisten sind. Also bitte locker bleiben, denn Stories wie diese hier, passieren einvernehmlich im real Life, sofern denn nicht gerade der pandemische Ausnahmezustand über der Welt hängt. ;-) 

Das einzige Stück bei dem ich inhaltlich nicht 100% komplett vorbehaltlos mitgehe, ist das "Viva Lied" (Track 15). Mein prozentualer Kritikpunk-t dabei bezieht sich auf die suggerierte Abwertung von "Grunge-Rock aus Seattle". Bei allen anderen im Text benannten Punkten ist/bleibt es zumindest auf nachvollziehbarer Ebene. Ich persönlich tendiere insgesamt immer (wieder) dahin, dass es ohne die im Text benannten Bands entweder weniger Text für dieses Stück gäbe oder eben andere Namen im Fokuskontext gestanden hätten. 

Ob das direkt folgende "Killercop" (Track 16) eine Art selbstironische Persiflage auf "Copkiller" ist, eine Art Fortsetzung oder aber eine thematische Umkehrung, findet Ihr am Besten selbst raus. ;-) Nur so viel, es kommt soundmäßig klasse rüber. ;-) 

Regulär scheint "Der erste Stein"-wurf nun durch zu sein, wäre da nicht die Bonusabteilung anhängig, die einige Stücke von der/dem "Demo 2008" (CD/Tape?) frei Haus serviert. Mit dem "Oma Lied (Bonus)" (Track 17; gerade mal 18 Sekunden Länge) geht es soundmäßig zurück in den Rumpelsoundkeller früher DieVisitor-Tage. Auch hier denkt man unweigerlich an Schleim-Keim zurück und sei es nur der Soundqualität wegen. Ich persönlich mag diese Art von Rumpelsoundpollerei ja, die sich auch bei "2 Skinheads (Bonus)" (Track 18; Anspieltip VI) fortsetzt. Die musikalischen Ansätze sind hier im Rücklblich/Vergleich bereits klar zu erkennen. Etwas lahm gezockt im Refrainteil, aber gerade deshalb ein fieser Ohrwurm, der von hintenrum anklopft. Soundmäßig dann doch noch einmal anders gelagert, klopft "Die besten Jahre (Bonus)" (Track 19; Anspieltip VII) schön offensiv Punk-ig die Motten aus dem Jackenfutter. Schönes Ding, das auch mal The Exploited Einflüsse durchschimmern lässt, bevor "Herz aus Beton (Bonus)" (Track 20) auch OHL als bekannt suggeriert, wenngleich das Stück noch mal klar mit Schleim-Keim Einflüssen winkt. Insgesamt 'ne klasse Scheibe, die sich mit 42:46 Minuten Spielzeit schon allein vom Sound her (nebst der aktuellen Exkrement Beton Scheibe) zu meinen neu(er)en Favoriten in Sachen deutschsprachiger Punkmucke gesellt. Mega, dass es diese Scheibe auch auf Vinyl gibt. :) 

V.Ö. 01.05. 21

 

9,0/10 Schafe Schüsse

(Anarchy Of Sounds Records 2.021)

https://www.facebook.com/DieVisitor-Streetpunk-aus-Brandenburg-172580488...

https://myspace.com/dievisitor?fbclid=IwAR1d654bt7vfijBHyboOn5PLNnVAE9ah...

Danny B

Schaf Schüsse: 

9
Eigene Bewertung: 9

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