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NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN "Notgemeinschaft Peter Pan"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

09-2018

Label: 

Genre(s): 

Lasst mich die Eckdaten dieser schon irgendwie saucool benannten Band mal auf die wesentlichen Fakten runterbrechen: Im Jahr 2.009 gegründet, in Hamburg zu Hause und mit der hier vorliegenden Platte (ja LP!) das 10. Release (*+eine Zweitauflage des 2.015er Albums "Dirigenten.Dompteure.Diktatoren.") in 9 Jahren seit Bestehen am Start, gehen diese Fakten auf die Haben-Seite der "4 Akkorde-D.I.Y. Punks. Auch die musikalischen Einflüsse, die zwischen Punk Küche und Hardcore Stube pendeln, zeugen von sympathischer Schul(ab?)gang in Sachen Punk-Feeling/Prägung. Braucht es mehr an Vorabinfos, um diese mittlerweile zum Trio geschrumpfte Band anzuchecken? 

Bereits das beiliegende Infoblatt spricht von "politisch immer weit vorn..." und "...dieses Mal richten sie sich sogar explizit an die sogenannte Mittelschicht, wie in einem längeren Vorwort in der LP geschrieben steht." Mir liegen zwar die Songtexte vor, das besagte Vorwort allerdings nicht, was schade ist, hätte mich nämlich tatsächlich im Kontext mit der Platte interessiert, zumal die "NGSCHFT PP" (ich nutze im Zuge dieses Reviews mal dieses selbstkreierte Kürzel) bewusst gesehen auch neueres Land bzgl. eines vollen Albums sind. Nun ja, ein Album auch zu nutzen, um eine Message-, ein ehrliches Anliegen zu vermitteln, ist zwar nicht neu, aber völlig in Ordnung, gerade weil es direkter wirkt als wenn es via Interview z. B. vermittelt würde. Ich steige also per Ⓐ-Seite und dem Opener "Protestsong" (Track 1) in die Notgemeinschaft Peter Pan ein, die direkten Weges wirklich interessante Themen-punk-te auf den Schirm zerrt, die in ziemlich gesellschaftliche Schräglage gekommen sind, ob szenein- oder auch gesamtheitlich extern. Um nur ein paar Schlagwörter aus dem ersten Text anzuführen: "Antifacist, antisexist, antiaging.." - das Pro und Kontra wird auf Echtheit geprüft, genauso auch weitere Themenfelder wie "Queer, Kita-Plätze, Marxismus, Rüstung, Mindestlohn..." auch regelrecht runtergebraten werden, so dass es beim ersten Anlauf fast zum Themenoverload kommt, was letztlich ein authentischer Spiegel der Gesellschaft ist, der in nur 47 Sekunden(!) auch musikalisch im klassischen (deutsch)Punk tönt. "Kleben und kleben lassen" (Track 2; Anspieltip I) bleibt stiltreu dabei, nimmt aber ein klein wenig Tempo raus, was dem Stück selbst zum Ohrenpacker verhilft. Es ist schon etwas her, dass ein Punksong so direkt gebockt hat. 

Thematisch spannt die NGSCHFT PP den Bogen vom (Graffiti)Sprayer bis hin zum intellektuellem Kunstverständnis, was an sich zwar Geschmacks- bzw. Ansichtssache-, allerdings ein erfrischend gutes Thema ist, gerade heutzutage. Der Texterstil ist jedenfalls in die gute, alte '80er/'90er Punkschule gegangen. Schlicht, aber doch mit gewissen Hang zum Tiefgang, was auch "Helikopter-Eltern, Staffel 1" (Track 3) unterstreicht, während man sich so ein klein wenig an Alarmsignal erinnert fühlt. 

Ich wünschte es würde wieder mehr Bands (in ALLEN Metiers!) geben, die wieder mehr auf Message/Inhalt setzen- und nicht nur Wischi-Waschi-Instantkonsumtexte kredenzen würden. Die 3 Jahre seit dem letzten NGSCHFT PP Release mag hier eine Menge Themen angehäuft haben, was letztlich positiv zu "Gehörn" schlägt und auch das wichtige Thema der Vereinsamung/Depression durch Informationsflut, Leistungsdruck, Erwartungshaltungen und menschengemachte Fehler/Abgrenzungen zum Inhalt hat - "Unter der Dusche sieht dich niemand weinen" (Track 4). Musikalisch dockt das Stück allerdings erst über mehrere Durchläufe besser an, was beim folgenden "Steuertrick 17" (Track 5; Anspieltip II) schon deutlich schneller läuft. Nur so viel: typisches Punk-Herz beim Penunzenzählen. ;-)

Noch tiefer und zeitaktueller bohrt sich der Finge in die Wunde dieser medial gelenkten Gesellschaft bzw. dieser Zeiten - "Wer nichts weiß, der muss viel glauben" (Track 6). Mit Zeilen wie "Lieber einfach, lasst euch lenken, schreibt euch Phrasen auf die Fahnen. Dass Neonazis neben euch mitdemonstrieren, sollte euch warnen." bringen die drei Hamburger etwas auf den Punkt der gegebenen Wahrheit. Ich würde angehörs solcher Songs sogar so weit gehen zu behaupten, dass die NGSCHFT PP mit dieser Platte (schon an dieser Stelle) positiv nahe am Geiste von Slime's "Schweineherbst" Album und dem zitierten Patrick Desbois dran sind. Man kotzt und würgt alles raus, lässt aber auch Platz für etwas Akustikflair, das besonders bei "Nachsitzen in Sexualkunde, 1. Stunde: Das Oben-Ohne-Privileg" (Track 7) zum Zuge kommt. Thematisch klappt hier die Schere allerdings recht weit auseinander. Ich persönlich sehe Sätze wie "Womit Mann sich solidarisch zeigen kann: behaltet auf der Bühne eure T-Shirts an!" sehr zwiegespalten und könnte Seiten dazu füllen, tue es aber nicht, weil die Behauptung, dass ein nackter, männlicher Oberkörper auf der Bühne triggern würde Bullshit ist. Ich habe schon mit vielen betroffenen Menschen (sexueller Gewalt/Übergriffe) gesprochen, aber ich habe noch keine/-n gehört, der sich davon getriggert gefühlt hat. Es sind wohl eher bedrohliche Situationen, die triggern, zu denen selten ein Punkkonzert ganz sicher nicht zählt. Schade, das war nicht nur stumpf oberlehrerhaft, sondern einfach nur 1:54 Minute pau-schal.   

Und damit kommt man zur B-Seite, die mit "Kleine Motivationshilfe" (Track 8) durchstartet. Im Grunde inhaltlich nichts anderes als ein Mutmacher, dafür musikalisch chillig, mal wieder etwas frischer und erneut nah am Akustik-Flair, zumindest bis zum Ende der ersten Strophe. Die NGSCHFT PP bezieht hier auch recht eindeutig politisch Stellung. Nicht verkehrt heutzutage, sondern fast schon Pflicht. Mir gefallen NGSCHFT PP am Besten, wenn sie frische Themen auf den Tisch packen und musikalisch dementsprechend Attitüde spüren lassen, wie es u. a. bei "Wohlstandssorge Bettelbetrug" (Track 9; Anspieltip III) der Fall ist. Genau so gefällt mir Punk Rock Mucke anno 2.018. Zwar hat man hier auch eine Themenschere dabei, diese zeigt sich jedoch nicht ganz so stumpf, sondern stellt mittels dieses Stückes und dem folgenden "Mikrocosmopoliten" (Track 10; Anspieltip IV) eine Schnittmenge an Blickwinkeln von Scherblatt und Hohle gegenüber, die auch Raum dazwischen lässt. Erstmals auf diesem Album nutzen NGSCHFT PP auch ein 37 Sekunden-Sample, um erneut Pogopunk zu schmettern. Sich in die Texte einzulesen lohnt beim Großteil der Lieder auf jeden Fall. 

Wo einst OHL und The Idiots mit ihren Supermarktketten-Reißwolfliedern kritisch in der Konsumgesellschaft ansetzten, setzen NGSCHFT PP ihre Art Kritik zeitgemäß mit "Grünkohl im Sommer" (Track 11) detailliert fort. Teilweise ist das just Bestandsaufnahme. Besonders cool die unvorhersehbaren musikalischen Einschübe, die für mehr Abwechslung sorgen. Besonders die Stücke, die quasi von klassischer Punkschule atmen und etwas mehr Catchiness mit auf den Bass- und Gitarrensaiten haben, machen direkt Bock auf ein Konzert dieser Jungs. Dann bitte auf jeden Fall mit "Milchglas" (Track 12; Anspieltip V) im Gepäck, das vom Feeling her an die ganz frühen OHL erinnert. 

"Riesenrädchen (Monster Schlussakkord)" (Track 13; Anspieltip VI) sorgt zum Abschluss noch einmal für für tanzende Menschen vor dem inneren Auge. Damit steht meiner Meinung nach auch das Stück am Plattenende, das sich am Meisten vom Gesamtfaden gelöst hat und fast schon wie ein Wink auf kommende Werke klingt. 

Insgesamt sind NGSCHFT PP nicht ganz so stimmig eingängig wie die Alarmsignal-Chöre, aber auch auch nicht so "in" und "hitsicher" wie Turbostaat heutzutage. Ich würde daher sagen, dass man mit Bei Bedarf auf ähnlichen Stilfeldern zockt, jedoch genug Eigenständigkeit innehat. 

V.Ö.: 28.09.18

 

6,8/10 Schafe Schüsse

(Kidnap Music/RilRec/ Riot Bike Records/Cargo Records 2.018)

https://www.facebook.com/notgemeinschaftpeterpan/

https://notgemeinschaftpeterpan.bandcamp.com/

Danny B

Schaf Schüsse: 

6
Eigene Bewertung: 6

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