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GRAUSAME TÖCHTER, Glaube Liebe Hoffnung [2CD]

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

09-2014

Label: 

Genre(s): 

2.009 als Duo in Hamburg gegründet, spricht man heutzutage bei Grausame Töchter von einer tatsächlichen Band aus sechs Leuten, die vor allem in der Gothic- & SM Szene regen Zulauf gefunden haben bzw. immer noch finden. Frontfrau Aaranea Peel ist dabei optischer Dreh- und Angelpunkt, und kreativer Blickfang in Sachen konzeptioneller Ausrichtung. Bislang erschienen bereits zwei Alben, die rein konzeptionell an die frühen Tage von Umbra Et Imago erinnern, als Texte über Sadomasochismus, sexuelle Neigungen noch polarisierten. Man muss Grausame Töchter definitiv das Kompliment machen, dass die korsettfreien Darbietung(en) von Grausame Töchter ihren Blickfang (auch audiell!) nicht verfehlen. Fakt ist auch, dass das FSK 18 Paket dieser Band erst das wirklich objektive-, künstlerisch-freie Bild zulässt. Für präpubertäre Selbsthandanleger, die den schnellen Abschuss suchen, sind Grausame Töchter definitiv nicht zu empfehlen, da es sinnlose Verschwendung wäre. 

Allein schon die selbstlautende Umschreibung spricht eine eigen-sinnige Sprache: "GRAUSAME TÖCHTER machen elektronische Musik, um emotionale Kälte zu verbreiten. Die zugrunde liegende Musik passt in keine Schublade, enthält Elemente aus Industrial, Ebm, Klassik, Punk, Soundtrack und vieles mehr. Sie ist eine dreckige Melange vom Schrottplatz vergangener Kultur. Die Texte zelebrieren Gier, Geilheit und Egomanie und wollen böses ausdrücken. Für Menschen von Menschen, um unbekannte Wege in der eigenen Psyche zu gehen. Mutige dunkle Seelen sowie Sadisten und Masochisten kommen auf ihre Kosten, alle anderen werden angewidert und angeekelt sein." Damit aber genug den Vorabfakten und dem Selbstverständnis. 

Bis auf einige Livevideos, sowie einige Videoclips (inkl. FSK 18 Clips), kannte ich im Vorfeld zu diesem Doppelalbum in liebevoll gestaltetem Hochglanz-Digipack quasi just das Fundament, die Basis dessen, worauf Grausame Töchter ihre ihnen inneliegende Philosophie(n) erbaut haben. Umso gespannter war ich, was sich bei ihnen hinter den Schlagworten "Glaube Liebe Hoffnung" (diesen Albumtitel kannte ich bislang just von der Punk Rock Band Betontod) auftun würde?! 

Einen Ersthauch in Sachen Eindruck eröffnet das Albumtitelstück "Glaube Liebe Hoffnung" (CD 1) als Albumöffner mit kaltem Beat und der durchdringenden Stimme von Frontfrau Aranea Peel. Sofern ich den Refrainteil akustisch richtig verstanden habe, geht es selbstlautend um die Angst als Thematik - "Töte die Geister, schlage die Angst...". Dieses Erststück mit den an Apocalyptica erinnernden Cello-Passagen macht sich als Albumöffner bestens und fährt nicht gleich alle Register auf, was von der dezenteren Machart her stimmig ist. Leicht von monotoner Starre durchzogen beginnt mit "Lust und Tod" (Track 2) der Zweitling, der sich dezent entfaltet und gerade deshalb irgendwie hängen bleibt. Es mag aus dem Kontext heraus seltsam minimiert klingen, wenn man "...nur Lust und Tod sind wahr."/ "Die Wahrheit macht uns Angst." als Zitat hernimmt, aber genau diese vermeintlich minimalistische Philosophie ermöglicht die Sicht auf den sensiblen Kern des Grausame Töchter Innenlebens, das zweifellos das Zentrum ist, das quasi gut verborgen in der Musik eingebettet liegt, wie die Lustpforte im Intimbereich. 

Während sich der Rückblick "Verlassen" (Track 3) ein wenig schwerfälliger voranschleppt, kommt mit "Solipsismus" (Track 4) eine interessante Thematik auf, bei der man im Oberbegriff drei Einzelarten (metaphysisch, methodologisch, ethisch) unterscheidet. Allgemeinhin bedeutet der Fachbegriff soviel wie "Selbstsucht". Dank der freien Interpretation könnt Ihr den Textinhalt natürlich selbst deuten. Mir hat es den Anschein, dass hier aber alle drei Formen mit eingeflossen sind. Gerade für die guten Undergroundparties kann man diesen Song jedem DJ/ jeder DJane empfehlen. Dieser erste Anflug von Clubbeschallung wird von "Mensch und Tier" (Track 5; Anspieltip I) getoppt. Hier treffen EBM Beats auf leicht ange-/ ver-zerrten Gesang und verspielten Minimal Electro. Zwischentriebe im menschlichen Dasein und Tierliebe (im Sinne von animalisch) auf vieldeutbare Weise. Schade, dass die Songtexte nicht komplett im Booklet abgedruckt sind, denn gerade die Texte schärfen das Interesse, wenn man immer wieder ein paar Satzfetzen versteht. 

Dass Aranea Peel eine Könnerin im Metier ist, dürfte selbst dem Laien spätestens bei "Tränen in einer toten Welt" (Track 6; Anspieltip II) klar werden. Nicht nur, dass die (Wahl-?)Hamburgerin auch Chansons singt und eine klassische an der staatlichen Ballettakademie Stuttgart genossen hat, nein sie setzt ihr Können auch mit Verstand und Feingespür ein. Schon optisch erinnerte mich Aranea Peel in den Erstzügen der Virtualbegegnung an die junge Nina Hagen... genau genommen ergibt sich eine Art Gemisch aus einer vom Punkgeist beseelten (der Hagen'sche Spirit), Extravaganz (wie der von Greta Cstalos; Untoten) und der gedanklichen (auch in sexuellem Sinne) Freiheit von Umbra Et Imago und Die Form. Bei "Tränen einer toten Welt" kommen die Sangesausdrucksstärken deutlicher, greifbarer zum Vorschein und werden zu einer stillen, wertvollen Erlebnisstunde wie an einem Tag, der von totem Nebel umarmt wird. Hypnotisierend wie der Ausblick durch Fensterglas auf stille Horizontweite. 

Nach dem emotionalen Ausflug geht es zurück in die Electro Welt mit Ausfall im Schritt - "Ficken ist ein schlimmes Wort" (Track 7; Anspieltip III). So eingängig wie widerspenstig, vom Auskotzen des straighten Punkgeistes erfüllt, haben Grausame Töchter hiermit den ersten Erstdurchlaufsofortzünder auf diesem Album am Start. Ein kleiner Hauch von Grossstadtgeflüster ("Ich muss gar nichts") kommt als spontane Assoziation hochgeschwappt. Bei Grausame Töchter kann man alles erwarten, auch das Unerwartbare. Somit wundert auch ein "Blutwalzer" (Track 8; Anspieltip IV) nicht, den man gehört haben muss, weil es einfach die Symbiose von Notenwurzeln der Klassik mit frecher Moderne verschmelzen lässt. "Blut schmeckt nicht nur nach Eisen, Blut schmeckt nach Liebe und Tod...." Hier steckt der unterschwellige Ohrwurm im Futter! ;-) 

Das etwas experimentellere "Sex in Latex" (Track 9) wird zum lustvollen Tanzflächenvibrato und verliert sich in den Nachttiefen sich hingebender Leiber im Kopfkino. Die "Zukunftsvision" (Track 10) bricht den Beat mit leicht paralysiert-winterlicher Stille und berührt mit einer Note von Trauer. Nicht allzu einfach direkt zum folgenden DAF zugeneigten "Bete und Arbeite" (Track 10) überzugehen. Man merkt Grausame Töchter den Respekt für Klangpioniere der Musikgeschichte an, indem sich die Band zwar nicht gänzlich an den Vorläufern des Minimal Electro orientiert, aber zumindest gute Ideen wiederaufnimmt und diese respektvoll auf eigene Weise verarbeitet. Nach dem Kurzexkurs ins gesellschaftliche Alltagsgrau, geht es mit "Quid pro quo" (Track 11; Anspieltip V) wieder zurück auf die Spielwiese zwischenmenschlicher Vorlieben, die etwas Die Form Würze im Spiegelnass auf der Haut mitschmecken lassen. Impulsiv, leicht betörend im Vibratounterschwall... der ultimative Sinnlichkeitssoundtrack - ganz grosses Kopfkino!

Nach dieser Art Vorspiel, passt sich "Wie eine Hyäne" (Track 12) bestens in den Albumfortlauf ein und weckt von zackigen Beats untersetzt animalische Rohheiten, um kurz darauf ins "Paradies" (Track 13) zu entführen, das teuflische-, wie auch engelsbeflügelte Momente zu bieten weiß, am Ende allerdings (musikalisch) im Zirkusrund endet, was das Spiel von Gut und Böse auf das Wesentliche bringt. Mit "Ich bin Gott" (Track 14) endet der offizielle Albumteil mit dem Grausame Töchter Siegel. 

Was den offiziellen Albumteil angeht, so kann man definitiv sagen, dass dieses Album in seiner Wesensbreite seinesgleichen suchen wird und das auf weiter, weiter Flur. Das Alleinstellungsmoment hält an und macht Grausame Töchter zu einer echten Ausnahmeerscheinung, nicht nur im Rahmen der breitgefächerten Gothic- & SM Szene.

Soweit ich feststellen konnte, gibt es mindestens zwei Doppelalbum-Varianten von "Glaube Liebe Hoffnung". Die mir vorliegende Version beherbergt eine zusätzliche Bonus CD, die schlicht "Instrumental" (CD 2) betitelt ist, die (so viel in aller Kürze) ein klasse Soundtrack für so manchem Abend ist, an dem man die Gedanken einfach mal bei einem guten Glas Wein ziellos (mit-)reisen lässt. Auf dieser Bonus CD werden mehr als nur "Füllstücke"/ B-Seiten geboten, denn hier kann man Grausame Töchter mal ganz anders entdecken. Irgendwie hätte sich dieser cineastische Soundtrack mit den unterschiedlichsten Emotionalreisewegen bestens für einen Film aus Einzelvideoclips geeignet, um gerade auch die künstlerisch sehr wertvolle, visuelle Komponente zum Zuge kommen zu lassen, so bleibt es aber beim Kopfkino und den eigenen Spontanbildern, während die 13 Stücke in den Raum gegossen werden. 

Mein Finalgedanke ist der, dass man von Grausame Töchter noch viel sehen und hören wird. Alles Andere wäre die Farce einer Tragödie.

 

8,5/ 10 Schafe Schüsse

(Scanner/ Dark Dimensions/ Broken Silence 2.014)

http://www.grausame-toechter.de/ 

https://www.facebook.com/GrausameToechter?fref=ts

Danny B

Schaf Schüsse: 

8
Eigene Bewertung: 8

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