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FRIEDEMANN "Mehr Schein als Sein, Friedemann Live II" [Livealbum]

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

10-2019

Label: 

Genre(s): 

"Der Weg des Lebens ist selten ein geradliniger und wenn man ihn konsequent gehen möchte, muss man akzeptieren, dass sich Prioritäten der Begleiter, die ein Stück mitgegangen sind, verändern und sie sich an einer Kreuzung in eine andere Richtung verabschieden." mit diesem Satz aus dem beiliegenden Infoblatt möchte ich diesen Finaldurchlauf der im Oktober erscheinenden, neuen Liveplatte von Friedemann beginnen, die aus meiner persönlichen Sicht dort anschließt, wo "(Unterwegs)" (*die erste Liveplatte von Friedemann; 2.017) aufhörte. Zwar liegt zwischen diesen beiden Livedokumenten das Album "Ich leg' mein Wort in Euer Ohr" (*2.018), das meines Erachtens etwas vielschichtiger-, fast schon experimentierfreudiger ausfiel, doch am Ende hörte ich "(Unterwegs)" tatsächlich öfter als das zuletzt erschienene Album. Geschmacks- und Blickwinkelsache. ;-)

Doch um auf den Eingangssatz zurückzukommen, dürften vor allem die Friedemann (und C.O.R.) Hörer/-innen längst mitbekommen haben, das Matthias "Matze" Arndt (Bass) auf neue (private) Wege aufgebrochen ist, um seinen Träumen und Zielen näherzukommen - in sofern ist "Mehr Schein als Sein" nicht nur das Ende eines Kapitels, sondern gleichermaßen auch der Schnittpunkt zu einem Neuanfang, was bereits bei der anstehenden, neuen Friedemann Tour spätestens (wenn nicht schon bereits bei diversen C.O.R. Konzerten geschehen) in irgendeiner Form Notiz verteilen wird. 

Um nicht in langen Vorreden/Monologen auszuschweifen, komme ich nun auch direkt zu diesem Livealbum, das mir persönlich den besten Wind in die Segel bringt, den ich mir wünschen kann - zumal ich ein Freund von Livealben bin, zumindest, wenn sie sich echt und unfaked anhören. Mit dem Opener des vorangegangenen Studioalbums "In euer Ohr" (Track 1) startet Friedemann mit seiner Band auf für einen solchen Abend ungewöhnliche-, aber ihm zueigen-authentische Weise, indem er sich nach kurzem Saitenintermezzo erst einmal an sein Publikum richtet, das das des Lido (*in Berlin-Kreuzberg) war. Offenbar hat Friedemann nicht nur durch seinen eigenen musikalischen Weg einen besonderen Bezug zu Berlin, zumal auch "(Unterwegs)" bereits in Berlin aufgenommen wurde. Schon zu Beginn wird einmal mehr klar, was Friedemann als Mensch und Musiker ausmacht. Es ist seine Art die Dinge auf seinen ihm zueigenen Punkt zu bringen. Musikalisch gesehen gefällt mir die Liveversion von "In euer Ohr" sogar besser als die Studioversion, was möglicherweise am Unterschied des Flows liegt?! "Paola" (Track 2) hingegen kann der/die geneigte Hörer/-in nicht nur von der Ansage her, sondern vor allem musikalisch mit der Liveversion des ersten Albums vergleichen oder (noch besser) einfach genießend hören. ;-) Was bereits an dieser frühen Stelle positiv ins Gewicht fällt, ist der abermals angenehme, warme-, (gefühlt) sehr nahe Sound, so als sitze man direkt neben der Friedemann, inmitten seiner Begleitband. Bislang alles von eher weichherzigen Emapthiewellen umgeben, die im Grunde von Friedemanns Authentizität beeinflusst zum "Nackenbrecher Blues" (Track 3; Anspieltip I) führen, der mich jedes Mal wieder an Motörhead auf Acoustic erinnert. 

"Zweifel" (Track 4; Anspieltip II) geht noch näher ran - dahin, wo es zeitweise in der Seele wehtun kann. Dahin, wo der Mensch beginnt sich vom Tier zu unterscheiden, weil er intensiv(er) denkt. Dementsprechend nachvollziehbar und wiederum unique, beschreibt Friedemann, was ihn sehr wahrscheinlich zu diesem Song getrieben hat. Wenn ich nicht irre, ist "Zweifel" auch ein völlig neuer Song, der auf diesem Livealbum Premiere erfährt, umso interessanter im Gesamtkontext. Rein gesanglich merkt man, dass Friedemann seine Akustikreisen insgesamt haben wachsen lassen, trotz aller menschlichen Zweifel, die wohl jede/-n dann und wann umtreiben. Die sehr intime Atmosphäre dieses Livedokumentes wird greifbar und man wünscht sich tatsächlich bewegte Bilder dazu, man kann aber auch gut seinen eigenen Film dazu abfahren lassen, der zu diesem Stück passt. Hierbei muss man der gesamten Band ein Kompliment machen, denn ohne das Zusammenspiel, also ohne den Teppich, den Boden unter den Füßen, könnte auch Friedemann letztlich nicht genau diese Atmosphäre erschaffen. Mit anderen Worten: Alles hängt zusammen und voneinander ab, was er auch im Vorfeld von "Geräusch" (Track 5) bekräftigt. Zwar könnte man Friedemann auch leichtfertig lieblos in die Reihe der sogen. Singer/Songwriter einordnen, würde dann aber spätestens hier feststellen, dass Friedemann sein Rad zwar (auch) in der Gemeinschaft dreht, dabei am Ende aber doch immer für sich selbst steht, was seine Band mit einschließt. Vielleicht ist es der "Eigensinn" (Track 6), der Friedemann seinen Dreh mitgibt, wie der Wind Teil der Bewegung der Wellen ist. Und der Wind des Lebens selbst ist es, der seine Geschichten schreibt, die Friedemann authentisch mit seinem Humor im Schnack Rügens zum Besten gibt. Der "Taschah, Tschah, Tschah Takt", der dabei stellenweise aufkommt, lässt Leben in die Bude kommen, was das Publikum sicher auf auf eine Sitzprobe gestellt haben dürfte, wie einen selbst früher in der Schule. 

Die rocklastige (bzw. metal-) Komponente Friedemanns kommt erst mit "Anders gedacht" (Track 7) ins e-verstärkte Spiel und tanzt leichtfüßig von den Saiten. Zu gut erinnere ich mich an ein einst erstes-, erlebtes, frühes Friedemann Konzert in einem JUZ in Rostock und die Energie, die dabei von der Bühne ging wie ein Schiff, dessen Anker man eingeholt hat. Dementsprechend kontrastgebend ruhig geht es mit "Lied aus Stille" (Track 8) zu den Friedemann (Solo-)Anfängen zurück. Allein die Wahrnehmung- und daraus resultierende Gedankenwelt Friedemanns scheint unendlich-, unerschöpflich groß wie das All weit ist, so dass nicht ein einziges Stück auf diesem Album nur bloß runtergedudelt wird, sondern dementsprechend etwas mitgibt, das von der jeweiligen Ansage lebt, bzw. intensiviert wird - "Freiheit" (Track 9; Anspieltip III). Auch das Spiel insgesamt löst sich immer mehr, so als spielen diese Jungs irgendwo in einer Düne für sich. Just der Applaus des Publikums erinnert den/die Hörer/-in dass man hier einem Livealbum lauscht. Vor allem die Ansage vor "Propaganda" (Track 10) sollte auf jeden Fall jede/-r gehört, genauso den dazugehörigen Song. Ganz besonders die Stelle "Und am Ende da sahen wir dann die Lüge als die Wahrheit an..." war, bzw. ist selten so nah am Puls der Zeit gewesen wie heute. Dementsprechend sinnvoll ist "Die Alternative" (Track 11) im Liveset platziert, wobei es dabei nicht(!) um diese unsägliche Partei geht, die allen verkaufen will eine Alternative zu sein - am Besten selbst mal reinhören. ;-)

Letztlich vollzieht sich mit diesem Album ein Kreis an Gedankengängen, der einen mitnimmt und gleichzeitig das Selbst hinterfragen lässt. Alles genau genommen umfassend essenziell, z. B. wunderbar auf den Punkt zentriert in "Haben und Brauchen" (Track 12; Anspieltip IV) -einfach wunderschön in dieser Version!- und "Gejammer" (Track 13). Man kann sich aber genauso gut in manchen Songs treiben lassen wie einen Zweig auf einem Bach - "Seesucht" (Track 14). Teilweise stimmt die Stimmung etwas tiefsinniger bis weit hinein unter die Oberfläche, dorthin, wo sonst nur wenige Menschen kommen. 

Letztlich fällt dieses Album tatsächlich der Gewichtung der Ansagen-, den Gedanken Friedemanns zu. Ich habe wirklich schon viele, viele Livealben gehört, aber nur wenige Ansagen waren jeweils so nah dran am Kern des jeweiligen Daseins, bzw. der jeweiligen Zeitepoche. "Ja sicher" (Track 15) z. B. spricht in der Ansage mit großer Sicherheit vielen aus der Seele, vor allem Musikern oder sonstigen sogen. "öffentlichen" Personen, genauso wie auch das Stück "Nichts können" (Track 16) bei manchem/mancher nah dran sein dürfte, warum man Musik macht oder irgendwo in der kreativen Welt das tut, was aus Herz und Seele wächst. Das alles sind am Ende nur Facetten des menschlichen Daseins im Funkenflug dessen, wo jemand sich ehrlich aufgerieben hat. Alles ist immer subjektiv, wenn man ehrlich ist. Und genau das EHRLICHE Dasein ist es, um was vom roten Faden her bei Friedemann geht - nicht nur auf diesem Livealbum, sondern ganz fundamental von der Basis seines Kerns her. Doppelmoralisten, Heuchler, Oberlehrer oder Missionierer, die die Menschen nach Schubladen sortieren, weil sie z. B. die Böhsen Onkelz gehört haben oder dies noch immer tun, verweist Friedemann mit einfachen Argumenten in Form von Fakten dahin, wo man sich selbst erst einmal hinterfragt, bevor man leichtfertig mit Dreck wirft, was man im Vorfeld von "Segeln" (Track 17; Anspieltip V) in Ruhe hören kann. By the way ist "Segeln" war schon sehr früh einer meiner persönlichen Favoriten und bleibt es umso mehr, aber das just am persönlich-offenen Rande. Diejenigen, die dennoch die "Grauzone" Keule rausholen wollen, sollten sich erinnern, bzw. vergegenwärtigen, dass "Lampedusa Blues" (Track 18) noch bevor die sogen. "Flüchtlingswelle" Kurs in Richtung Europa nahm, Zeichen setzte und vor allem Menschen mit vorhandener Empathie/Mitgefühl aus der Seele sprach. 

Was mir am Finale dieses wirklich strarken Livealbums besonders gefällt, ist der Kreis, der sich auf positive Weise mit Frage und Antwort gleichermaßen per "Wo bleiben wir" (Track 19) und "Gelassen" (Track 20; Anspieltip VI) schließt. Befangen, begeistert, berührt und einmal mehr erklart, ist für mich bergquellenklar, dass der Weg Friedemanns, auch ohne Facebook und Maulerei, definitiv mit dem meinem verbunden bleiben wird und das von Herzen und Seele her. Chapeau an Friedeman, Matze, Janko und Johannes. Für Neueinsteiger bzgl. Friedemann das perfekte Album.

V.Ö.: 4.10.19

 

10/10 Schafe Schüsse

(Exile On Mainstream Records 2.019)

https://friedemann-ruegen.de/

Danny B

Schaf Schüsse: 

10
Eigene Bewertung: 10

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