Neuen Kommentar hinzufügen

Bild des Benutzers DannyB

FRATZE "Am Anfang war der Irrtum"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

12-2020

Label: 

Genre(s): 

Neues aus dem Hause Bleeding Heart Nihilist - dieses Mal jedoch nichts les-, sondern nach (gefühlt) längerer Zeit mal wieder etwas hörbares. Grafisch betrachtet, erinnert mich das Artwork an die witch-ige Künstlerin/Poetin FatimaDjamila, die längst Teil der Bleeding Heart Nihilist Familie ist und bereits aus der anderen Herzkammer BHN Books heraus veröffentlichte. BHN Kopf Alex findet immer wieder (im positiven Sinne) eigenwillige, eigensinnige Musiker/-innen und Schreiber/-innen, die einen hohen Wiedererkennungswert auf irgendeiner markanten Ebene mitbringen. Bei der hier vorliegenden Band, bzw. Soloprojekt(?) Fratze ist es zunächst schlichtweg der straighte Name, der einen direkt anspringt und man erst einmal über den gewagten Move schmunzelt, bei dem es offenbar (lt. Info) ein Einzelkünstler ist, der auch im Band-/Projektnamen den tieferen Ursprung des "Fratzenschneidens" als "eine verzerrte Ausformung des Ausdrucks... ein Kämpfen mit, und ein Verzerren von, inneren Zuständen und Gedanken" sieht und diesen bereits via Coverartwork eine Art in sich laufendes Konzept zuverleibt. Das klingt vielleicht schon vorab zu kopflastig, zu tief bohrend, zu psycho-irgendwas...? Nun ja, es braucht einer fundamentalen Offenheit und ein paar philosophische Hirnzellen, um dieses "´'quergedachte' Konzeptalbum über abgelegte Masken" umfassend verstehen zu lernen, was auch für mich keine Leichtkost versprach/war, aber hey, immerhin versprach es keine Langeweile, zumal Fratze sich vorab bereits in den Stilen Experimentalfolk, Power Electronics und Black Metal in "Reinform" (O-Ton) verdingte(n) und ausprobierte(n). Mit anderen Worten dieses Album versprach (nicht nur per Beiinfo) "konventionelle Hörgewohnheiten werden dabei konsequent ignoriert und negiert..." - es konnte also nur vollkommen anders werden.

Der Opener "Zecke beißt Auge" (Track 1) widerstrebt und umgeht direkten Wege übliche Strukturen und Muster. Was anfangs stark befremdlich bis schräg klingt, erinnert an so manches Underground Soloprojekt diverser NeuBeat-Poeten des '90er Jahre Gothic Undergrounds, die man beim WGT in Leipzig hier und da auch als Spontandarbietung erleben konnte. Im sehr, sehr weitem Sinne fallen mir Sopor Aeternus, Goethes Erben, Umbra Et Imago, Endraum oder vielleicht auch in ganz weiter Ferne Lacrimosa ein, die allesamt elementare Teilchenstreuung in Sachen musikalische Alternativen zur Selbstverwirklichung mit Bezug zu offen-lautem Denken vorleisteten, so dass selbst Fratze nicht unbedingt eine Schockwirkung (zumindest bei mir) erzielen kann. Es ist eher das pure Interesse, dass die dezente Instrumentierung zusammen mit der seltsam nach D.I.Y. klingenden Aufnahme-, statt nach fettem Studio mitgibt. Es sind vor allem auch die Inhalte, die wie bei "Koboldtier" (Track 2) auch mal offen auf (mir) widerstrebende Weise von der Kugelreise in den Kopf erzählen, bzw. vom innergeflüsterten "Rat" dessen erzählen. Vom Textinhalt her reicht es von der Dunkelbrunnentiefe bis zum Selbsthass, der davon erzählt dem "Koboldtier" die Fresse einzuschlagen. Was nach schlagwütigen Selbsthass-Proleten klingt oder von mir aus auch nach ungnädig brutal, wie manch' wirrer Black Metal Wannabe Tank-Driver es gern propagiert, ist letztlich die selbstgewählte Ausdrucksform von Fratze, die von eher folkorischen Mitgaben umrahmt wird, aber eigentlich teils nice nach Dead Can Dance oder auch Anticrisis Einflüssen klingt, was auch die instrumentale Brücke zum folgenden "I'm A Jellyfish" (Track 3; Anspieltip I) schlägt. Dieses Stück klingt über weite Strecken noch am "Konventionellsten" auf diesem Album, zumal doch stark Folk-betont bis verträumt. Leider dominiert hier eher das Tagesgrau, statt vereinzelter Lichtblicke/Sonnenstrahlen, so dass ich für meinen Fall den Ansatz für etwas zu destruktiv empfinde. Jeder Qualle liegt die Weite des weiten Meeres offen dar... vielleicht dachte sich das der Künstler selbst auch und schob deshalb "I'm A Jellfish - Part 2" (Track 4) im Minimal Electro Gewand hinterher? Von der Mucke her ist das genau die Art '90er Jahre Electro Muckeeinfluss, die man auf diversen Gothic Partys zur Einstimmung hörte, wenn die Tanzfläche, bzw. der Club, erst einmal in die Kulisse von "Die Nebel von Avalon" verwandelt wurde. Nett anzuhören und absolut nicht störend, sondern eher besänftigend - typische "(World) Come Down" Kost. ;-)

"Fly Sucks Heart Dry" (Track 5; Anspieltip II) hingegen geht nach der "Vorsturmruhe" wie psychotisch frisch angestochen auf den Trip und schickt sich in Shock Therapy Nähe, inkl. der Old School Ursuppe diverser Batcave und Electro Einflüsse mit zaghaften Punk-Ansätzen, was von der Struktur her erst ab Songhälfte zunehmend besticht. Wer die Basics von Christian Death mag, sollte hier ruhig mal ein Ohr riskieren. Dass Fratze dennoch viel Experimentierfreude mitbringen und kein Geräusch, kein Versuch weit genug weg scheinen, um nicht auch ausprobiert zu werden, unterstreicht vor allem das teils verstörte "Aasgesicht" (Track 6). Dieses Stück klingt wie ein trippiger Rausch aus Synapsenkotzerei. Wer's braucht?! 

Vom Textinhalt zwar nicht minder befremdlich verstört, allerdings zumindest instrumental gehört deutlich angenehmer, stimmt "Vielfüßiger Sonnenfresser" (Track 7) versöhnlicher. Vom Textinhalt absolut nicht meine Baustelle, egal mit welchen "inneren Monstern" man das auch relativieren möchte. Apropos Texte und Booklet - echt klasse, dass die Texte im Booklet abgedruckt wurden, leider lesen diese sich unter schwacher Lichtquelle leider etwas schwierig - just als kleinen Kritikpunkt zur zukünftigen Optimierung an die Grafikabteilung. ;-) 

Die in der offenen Schublade verbliebene Experimental Goth Mucke spielt immer wieder mit den Folk-Elementen, unterfüttert diese aber auch mal mit einem Basic Beat aus dem Electro Genre, was auf eine anfangs seltsam paradoxe Weise echt angenehm andockt - "Flötenspiel vs. Mauerstein" (Track 8; Anspieltip III). Die Suggestion, dass der Protagonist ganz schön "einen an der Pfanne" hat, unterstreicht der Gesamteindruck der Lyrics (auch der bisherigen). In den '90ern hätte Fratze einen sicheren Platz in der Runde skurriler Projekte innegehabt, die es sich auf die Fahne geschrieben haben der tiefenpsychologischen Taucherei zu frönen, ob das anno 2.020/2.021 noch immer dankbare Ohren, Hirne, Abnehmer etc. findet, wage ich zu bezweifeln, da in diesem Metier vermutlich nur wenige übrig bleiben dürften, die nicht vom Fast Lane Life mitgerissen werden und sich die Zeit nehmen können sich mit der letztlich tatsächlich (mindestens stellenweise) doch sehr eigenwilligen Mucke auseinanderzusetzen, mittels der "Praying Pontifex - Endgame" (Track 9) einen ähnlichen Schlussakzent setzt, wie dieses Album anstartete. Alles in allem definitiv keine Leichtkost, sondern eine mit einem relativ hohem Anspruch, zumindest, wenn man sich vergegenwärtigt in welche Art Zeit(en) wir leben... 

V.Ö. 11.12. 2.020

 

6,2/10 Schafe Schüsse

(Bleeding Heart Nihilist Productions 2.020)

https://www.bleedingheartnihilist.de/music/en/blog/news-music

Danny B

Schaf Schüsse: 

6
Eigene Bewertung: 6

Review No.: 

Tags: