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C.O.R. "Friedensmüde"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

08-2020

Label: 

Genre(s): 

Es ist schon etwas her, dass man ein neues C.O.R. Album in Händen und Ohren hatte. Das Leben wollte es so, dass C.O.R. Kopf Friedemann zwischenzeitlich satte drei Soloplatten veröffentlicht hat, bevor das neue C.O.R. Lineup, von dem nur die Hinz Brüder vom Gründungskern als Teil der Rügencore'ler geblieben sind. Somit war bereits im Vorfeld klar, dass sich die Mucke von C.O.R. verändern würde. Die zentrale Frage (die bei vielen fast schon zu so etwas wie Angst vor einer zu krassen Veränderung lostrat) war letztlich die wie stark spür-/hörbar der Grat der Veränderung ausfallen würde? Immerhin gibt es einige Bands, die mit zu starken Veränderungen im Gesamtsound auch dementsprechend Fans verloren haben, die sie loyal über eine lange Wegstrecke begleitet haben. Schon Falco erkannte einst richtig "Das Leben ist Veränderung..." (*Zitat aus "Jeanny, Part 2, Coming Home"). Auch ich war im Vorfeld von "Friedensmüde" echt vorgespannt, wie sich C.O.R. anno 2.020, inmitten stark spürbarer Veränderungen in einer Gesellschaft aus Egoismus und Ellbogen, anhören würden? Diese Spannung betraf also nicht nur den Sound, sondern auch die Inhalte, zumal man C.O.R. (bzw. Friedemann) nun mal als ehrliche Beobachter kennt, die ihre Sicht auf die Dinge immer schon auf rauhe, ehrliche Weise mit Herz und Verstand umrissen haben, ähnlich dem rauhen Wind der See, die diese Band einst aus den Tiefen trug. 

Wenn ich genauer darüber nachdenke, im Kontext mit diesem neuen Album, kann ich bereits vorab verraten, dass "Friedensmüde" aus meiner subjektiven Sicht wie eine fast schon logische(?) Folge dessen ist, was mit "Lieber tot als Sklave" (*2.015) und "Leitkultur" (*2.017) bereits einen Neuentwicklungsanfang nahm. Das Salzgehalt in der Luft, die C.O.R. mitbrachten, stieg an und legte sich in gesellschaftliche Wundpunkte, um zu wirken. Ich kann natürlich nur subjektiv von mir sprechen, aber C.O.R. (sowie Friedemann) haben tatsächlich (mein) Leben verändert und auf weitere Gedankenfelder hin zu realisierbaren Möglichkeiten geführt, die sich zumindest bei mir zur richtigen Zeit erschlossen haben. Dafür kann man nur dankbar sein. Allgemein betrachtet waren, bzw. sind C.O.R. eine der Bands, die trotz aller Veränderungen glaubwürdig geblieben sind, ohne mit Kalkül auf harten Macker zu machen oder die Leiter mit der Brechstange in den Himmel zu wuchten, um den Mond zu besuchen. Wenn C.O.R. von Härte und/oder Erlebten singen, nehme ich ihnen das ab, weil man hören kann, dass es tatsächlich von ganz tief drinnen her genau so gemeint ist. Natürlich lebt die rohe Magie von C.O.R. auch ganz klar von der Ausdrucksweise wie sie Friedemann innehat. Das kann man nicht kopieren. Quasi von "Unregierbar" zu "Unkopierbar". 

Das bringt ins Hier und Jetzt zu "Was man von hier aus sehen kann" (Track 1), mit dem sich ein neues Kapitel in die Chroniken der Bandgeschichte schreibt. Es liegt in der Natur des Lebens, dass man dabei zunächst auch mal zurückblickt auf das, was war. Das geschieht natürlich nicht ohne auch Fragen zu stellen. Musikalisch gesehen geht es dabei gar nicht mal so sehr viel anders zu als zuletzt auf "Leitkultur". Man lässt es mit der Ruhe der Gezeiten angehen und stimmt damit angenehm ein, trotz dessen dass die "Müdigkeit" bereits hier im letzten Viertel eine Tiefe mit leichten Wahnsinn im Lauf einschärft. Es ist derselbe Wahnsinn, der in der Gesellschaft täglich mitläuft. Dass die wunderhafte Balance immer kippen kann, bleibt dabei bewusst im Hinterkopf.

Bereits beim folgenden "Seele streicheln und vergiften" (Track 2) bekommt man das gewohnte zweischneidige Schwert ehrlicher Ansichten durch's Herz getrieben, das schon immer Teil der C.O.R. Credibilty ist. Hierbei befassen sich C.O.R. mit den Textinhalten von Bands, die anstatt Skateboard lieber Trittbetter fahren, um den schnellen Euro zu machen. Mir gefällt dabei die Herangehensweise, dass Textinhalte nicht lieblos-halbgares Füllmaterial zur Musik sein müssen, wie es heutzutage leider schon sehr weit verbreitet ist, sondern wieder mehr Gehör verdient haben und dabei möglichst auch mal Herz und Hirn erreichen. Der schön ausbalancierte Sound spielt den Texten in die beschriebenen Karten, die man im Booklet nachlesen kann. Ich weiß nicht genau, ob der Schein trügt, aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass das Schlagzeug wieder stärker wahrzunehmen ist als zuletzt auf "Leitkultur". Die Neuzugänge Robert Lefold (Git.) und Tino Damms (Bass) machen sich dabei ausgesprochen gut und halten den dynamischen Lauf flüssig. 

Mir scheint zudem, dass die Texte noch eine Nuance an Tiefe gewonnen haben, wofür u. a. "Nackt" (Track 3; Anspieltip I) ein sehr gutes Beispiel ist. Vielleicht liegt es an der Zeit, vielleicht aber auch am Älterwerden, dass das zwischenmenschliche Kennen- und Schätzenlernen heutzutage immer auch von einem gewissen Maß Vorsicht durchzogen ist, die hart mit der Paranoia-Grenze kämpft/spielt. Rein textlich ist Friedemann da ein echtes Kunststück gelungen den Inhalt so lebensnah einzufangen. Das Stück eignet sich sowohl zum Abpogen wie auch zum Moshen, was die musikalische Breite hält, bzw. sogar erweitert. In meinen Ohren hören sich C.O.R. nach ihrer neuen Mitte an. 

Sprach ich eingangs bereits von der Glaubwürdigkeit, mit der C.O.R. immer wieder erzählen, kann man sich bei "Abriss" (Track 4) per Film im Kopfkino nur zu gut vorstellen, wovon Friedemann's Stimme hier erzählt/singt. Dieser "Abriss" hätte auf frühen C.O.R. Platten vermutlich hart nach Pflastersteinsammeln geklungen, kommt hier jedoch mit einer Art positiven Motivationsschub rum, ohne von aggressiver, sinnloser Zerstörung zu sprechen. Robert Lefold empfiehlt sich hier auch Soli spielend, um ihm mal genauer auf die Saiten zu schauen. Definitiv ein würdiger Nachfolger von Christian Fitzner. Zwar alles bislang lockerflockig und dynamisch im Lauf, Experimente jedoch kommen erst bei "Lass doch mal die Leute" (Track 5; Anspieltip II) zum Zuge, die vermutlich auch dank Friedemanns musikalischer Solowerke an Rundgang gewonnen haben, unterstützt durch gesamte Band, die erst hier richtig tiefenbewusst kompakt bei mir in der Wahrnehmung ankommt. Gerade weil dieses Stück so abwechslungsreich daherkommt, hoffe ich, dass C.O.R. es auch mit ins zukünftige Liveset nehmen. 

Ich möchte zwar nicht vom Alter und dem Werden und hart verdienter Falten anfangen, aber ein Stück wie "Das Recht der Jugend" (Track 6) führt auch mich unweigerlich dahin zurück, wo die Flügel noch genug Raum zum Dahingleiten und wilden Rundflügen hatten. Irgendwo zwischen Nostalgie, Rückblick und Teilwissen um den Lauf der Dinge im Wachsen- und Werdensprozess kommt hier wieder schön temporeiche Fahrt auf. Vom "alten" Kutter auf See keine Spur, denn hier wird über die Saiten gerudert, dass es gewohnt amtlich den Punk rockt. In Sachen "Müdigkeit" jedenfalls kann ich bislang nichts ausmachen, vielleicht braucht es erst das Albumtitelstück "Friedensmüde" (Track 7; Anspieltip III), das vom Schlagwort her gerade nach diesem krassen Wochenende und den Geschehnissen hier in Berlin noch einmal einen ganz neuen Gefühlsanstrich mitbekommen hat, ohne das C.O.R. das zu Zeiten der Aufnahmen wissen konnten. Ein verdammt wichtiges Stück! Mehr muss ich dazu nicht sagen, denn dieses Stück sollte jede/-r zumindest einmal gehört haben. Musikalisch auf jeden Fall stellenweise positiv überraschend. Genauso überraschend wie "Stück Glück" (Track 8; Anspieltip IV). Ich habe schon Tausende Lovesongs gehört, aber keinen wie diesen, das 'ne ganz große Schippe Gefühl in die Emotionen schiebt. Neu im C.O.R. Sound ist dabei auch der Einsatz von Klavierklängen. Wer jetzt aber eine Schmuseballade o. ä. vermutet, irrt. Ich würde sogar offen sagen, dass ich mir eine Ballade nicht so recht von C.O.R. vorstellen kann, obwohl es absolut keine Grenzen gibt. Wer von der Gefühlsebene her auf pure Wildromantik steht, die man vom Grundfeeling her sonst nur in von Menschen unberührten Gegenden-, Wäldern z. B. findet, der/die wird dieses Stück vermutlich lieben lernen. 

Der "Mittelfingergruss" (Track 9; Anspieltip V) spricht für sich selbst. Vermutlich eines der Stücke, die für das Liveset zukünftig saved sind, schon des Inhalts wegen. Wobei es ungerecht wäre das Stück nur auf den Text zu reduzieren, der nur deshalb ein so starkes Ausrufezeichen auffährt, weil die Mucke die Basis dafür hergibt. Da passt ein fast schon C.O.R. typisches Thema wie Kosumwahn via "Alle wollen geil" (Track 10; Anspieltip VI) vom Grundgedanken her gut ran, was mit der fast schon positiven Umsetzung hervorsticht, zumal hier auch Ska Momente mitschwingen, die mir stellenweise von einer anderen Band her bekannt sind. Einflüsse haben nun einmal bei alle Bands. ;-) Fast ein wenig schade, dass das Stück nur so kurz ausgefallen ist, das Live 'ne Menge Raum für Improvisationen offenlässt. Vom Setting her passt "Alle wollen geil" quasi perfekt zu "Endzeitmensch" (Track 11; Anspieltip VII) bei dem Friedemann und seine Bandkollegen mit Melodiebögen und Arrangements aufwartet, dass ich von einem Sofortzünder sprechen kann - textlich wie auch musikalisch. Zu 90% ebben die Albumschließerstücke meist ab und geben zum Abschluss noch einmal eine Art musikalischen Querschnitt des gesamten Albums mit, das haben C.O.R. nicht gemacht und bestätigen schon allein damit einmal mehr ihre Alleinstellung bzgl. der Art & Weise wie sie den Dingen Raum geben. Ich für meinen Teil kann dieses Album nur wärmstens empfehlen, denn es fühlt sich nicht nur gut an, sondern hört sich sogar noch besser an und das schon mit wenigen Durchläufen. Mit anderen Worten: Dieses Album wird vermutlich auch auf längere Sicht in den Gehörgängen, Herzen und Seelen Einzug halten und dort ein dankbares Zuhause finden.

 

Schafe Schüsse Hammermarke!

10/10 Schafe Schüsse

(Rügencore Records/Cargo Records 2.020)

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Danny B

Schaf Schüsse: 

10
Eigene Bewertung: 10

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