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THE HIRSCH EFFEKT, Holon: Agnosie

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

04-2015

Label: 

Genre(s): 

Wieder einmal eine Band, deren Namen man schon mal irgendwo, irgendwann vernommen hat, aber mehr als dieser leicht sperrig-ungewöhnliche Name nicht viel im Erinnerungszentrum hängenblieb. Irgendwie (warum auch immer?!) hatte ich irgendwas mit "Electro" im hintersten Winkel der Assoziation abgespeichert. Ob mein Hirn da etwas neben sich stand oder ob daran Wahres wäre, würde nun im Zuge dieses brandneuen The Hirsch Effekt Albums beantwortet. 

Vorab seien aber ein paar interessante Beifakten zum Albumkonzept mitgegeben, zumal es sich hierbei offenbar um eine Albumtrilogie unter dem dachgebenden Titel "Holon" handelt. Der Begriff "Holon" entstammt offenbar dem Griechischen ὅλος, hólos - was soviel wie "das Teil eines Ganzen Seilende" bedeutet, das quasi vereinfacht ausgedrückt "ein Ganzes als Teil eines anderen Ganzen" bedeutet. Kann man hier also direkt von Philosophie in Hochkultur ausgehen? Und ist das dann gleichbedeutend mit zu kopflastiger, schwerer Philosophiekost? Auch diese Frage(n) soll(ten) sich noch beantworten. 

Was den dieses Album ebenfalls umrahmenden Untertitel "Agnosie" angeht, schwingen hier zweierlei Bedeutungen mit: "Unwissenheit" und "Seelenblindheit". Wenngleich beide Begriffe auch ihren gemeinsamen Schnittpunkt haben, unterstreichen sie das tiefenphilosophische Konzept, das sich The Hirsch Effekt erarbeitet/ erdacht haben.

Und wenn es schon mit einer gewissen Tiefe zugeht, ist vor allem auch der visuelle (Hirsch) Effekt in Sachen Artwork ein nicht unwichtiger Teil des Ganzen und setzt die Bedeutung von "Holon" (ein Ganzes als Teil eines anderen Ganzen) auf direktem Wege um, was dank des in San Fransisco lebenden Künstlers Alejandro Chavetto verdammt stark umgesetzt wurde. Ich für meinen Teil würde schon allein beim Coverartwork von avantgardistischer Kunst sprechen, aber das mag jede/ -r für sich sebst benennen. 

An langer Vorrede soll es nun auch genug sein. Zum Finalgang die Playtaste gedrückt und ab dafür. Mögen die Worte dem Spiel Ausdruck verleihen! ;-) Mit "Simurgh" (Track 1) kommt der Opener wie Filmmusik aus dem stillen Nebel und suggeriert einen Blick über die Schulter. Der "Simurgh" ist übrigens ein Fabelwesen aus der persischen Mythologie (* ‏سيمرغ‎, auch Simurg, Simorg oder Senmurv im Mittelpersischen), dabei ist von einem Vogel die Rede, den man im Abendland als Phönix (den Feuervogel) kennt. Beim Ersthör erinnerten mich The Hirsch Effekt hier ein wenig entfernt an die Gothicband Illuminate. Während es bei "Simurgh" noch ruhiger zuging, packt "Jayus" (Track 2) progressive Death Metalanteile aus, die mit kleinen Core-Funken um die Ohren peitschen. Allein schon das punktgenaue Zusammenspiel von Bass, Gitarre und Schlagzeug bringt die Musikalität hier dynamisch, aber dennoch gebündelt Energie(n) in die Fugen. Das ringt schon Respekt ab. Nebst Growlparts werden von Nils Wittrock und Ilja Lappin auch Screamoparts ins Mikro gerotzt. Der ruckartig-zappelnden Aggression folgt ein Ruhepol, der mit dem Albumtitelstück "Agnosie" (Track 3; Anspieltip I) beginnt und wieder zum Prog-Level zurückkehrt. Auf 7:12 Minuten ausgebreitet werden hier vom popig angehauchten, eingängigen Songpart bis hin zur Progressive Death-/ Mathcore Screamokeule alle Geschütze aufgefahren. Ziemlich abgefahren, dass einige Trompetenparts sogar ein wenig Jazzflair mitbringen. Das Ganze hat einen ziemlich abgefahrenen Psychedelictouch. Für ein Bandtrio ziemlich fett!

"[Chelicera]" (Track 4) scheint so etwas wie einen Kapitelumbruch zu markieren. Ob der Songtitel von der Spinnenart "Chelicerae" abgeleitet ist, kann ich zwar nicht genau sagen, obwohl es naheliegt, aber der instrumentalen Umsetzung nach, würde es zu schnellen Spinnenfortbewegungen passen, zumal der Songtitel "Bezoar" (Track 5; Anspieltip II) dem Begriff nach (* erneut aus dem Perischen von bazahr - "Gegengift") die Assoziationen weckt, obwohl es hier eher um unverdauliche Haarverklumpungen geht, die sich z. B. in den Mägen von Greifvögeln, Katzen oder Rindern befinden können. Allein schon von den Thementiefen gehen The Hirsch Effekt einen doch eigenständigen, seltsam-ungewöhnlichen Weg. Da könnte sich so manche Black Metalband mal eine grössere Scheibe von abschneiden! Und das nicht nur rein thematisch, sondern auch vom Keulenpegel mit dem The Hirsch Effekt bei diesem Song zu Werke prügeln. Spätestens jetzt ist man angefixt eine Show dieses Trios sehen zu wollen, nicht zuletzt deshalb, weil immer wieder Parts plötzlich mitten im Prügelwahn auftauchen, die man auf keinen Fall kommen sehen hat. The Hirsch Effekt spielen mit den musikalischen Achterbahnfahrten wie Jongleure im Zirkus und verschnüren den Zuhörer wie ein Weihnachtspaket, nur um es dann fies grinsend über die Saiten zu ziehen. 

Selbst vor Klassik schrecken The Hirsch Effekt nicht zurück. Sowohl zum Ende von "Bezoar" hin, wie auch beim beginnenden "Tombeau" (Track 6), mit dem The Hirsch Effekt sinnbildlich den "musikalischen Grabstein" setzen (* franz. le tombeau = Grabmal). Von unerwartet popig-seichten Emotionen getragen wiegen sie den Zuhörer vorerst in trügerischer(?) Sicherheit und gehen mit "Emphysema" (Track 7) auf ihrer musikalischen Reise zu einer Art ironisch-untertönenden Songwriter-PseudoRock-Nummer über, zumindest ist man sich als Hörer nicht sicher, ob das musikalische Gewand ernst gemeint ist? Mit zunehmenden Verlauf neutralisiert/ entspannt sich diese Skepsis allerdings etwas und lässt selbst den Funk schlucken. "[Defeatist]" (Track 8) markiert ein neues Themen-/ Musikkapitel dieses Albums. "Defeatist" ist ein englischer Begriff, der aus der Psychologie stammt und eher mit negativen Dingen assoziiert wird. Es geht dabei um das Ringen mit Niederlagen. Seltsam, dass ich ausgerechnet bei diesem Song immer wieder an die Ulkband A.O.K. denken muss. 

Mit "Fixum" (Track 9; Anspieltip III) bricht die unvorhersehbare Themenvielfalt weiter auf und legt den Bedeutungsspagat zwischen "Entgeld/ Bezahlung" und dem Latinum "das Feste" hin, während es musikalisch zwischen Screamo und PUR(!)-ähnlichen Vocal Parts zugeht. Die Instrumentalfraktion klopft, funkt und groovt-rifft währenddessen sämtliche Griffbretter und Hölzer ab. Ob "Athesie" (Track 10; Anspieltip IV) als Schlagwortbegriff The Hirsch Effekt am Ehesten auf den Punkt abnagelt? "Unbeständig(keit)"... grübelt es in mir, während ich analytisch das Pro und Contra wälze, bin ich mir am Ende nicht sicher, ob das nicht zu einfach für diese Band wäre?!? Zumindest häufen sich die eingängigeren Songanteile zunehmend. "Athesie" jedenfalls ist der Song auf diesem Album, der es mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit am Schnellsten in die Ohren schaffen dürfte. 

Das letzte Kleinkapitel bricht mit "[Tischje]" (Track 11) an. Die Einleitung in Form dieses Stückes weckt einmal mehr dissonante Assoziationen. Einstürzende Neubauten schiessen mir gedanklich nach oben. Warum auch immer?! "Dysgeusie" (Track 12; Anspieltip V) (* bedeutet soviel wie "Geschmacksstörung") poliert der möglicherweise aufkommenden Müdigkeit ordentlich die Zwölf auf Dreizehn. Hier kommt Metal- mit Deathcore zusammen und lässt auch wieder mehr Progelemente zu. Last and least darf "Cotard" (Track 13) noch einmal einige Stilfacetten vereinen, um dem nihilistischen Wahn thematisch Gestalt/ Ausdruck zu verleihen, was zum Albumabschluss erneut über weite Strecken recht eingängig umgesetzt wurde. 

Ein wirklich vielschichtiges Album, das man nur schwer einer Schublade zuschustern kann. Es überrascht und weckt verschiedene Assoziationen, während man musikalisch von hohem Niveau sprechen muss, um The Hirsch Effekt gerecht zu werden. Klasse Album, auf keinen Fall glatt, sondern eckig, kantig, sperrig, aber auch songweise eingängig.

V.Ö.: 24.04. 2.015

 

8,5/ 10 Schafe Schüsse

(Long Branch Records 2.015)

https://www.facebook.com/thehirscheffekt

Danny B

Schaf Schüsse: 

8
Eigene Bewertung: 8

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