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PROVINZTHEATER "Tonträger"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

11-2014

Label: 

Genre(s): 

Gar nicht mal so lange her, dass ich dank einer lieben Freundin des Hauses auf ein Bier ins Berliner Supamolly eingeladen wurde, wo an jenem Abend auch Livemusik auf dem Programm stand. An jenem Augustabend trafen meine Ohren auf die irgendwo im Ruhrpott ansäßigen 7(!) Herren mit Zylinder und Kapellenausstattung vom ProvinzTheater. 

Zunächst erwartete ich (dem Bandnamen geschuldet) Livetheater, was wiederum just Teil der Gesamtdarbietung an jenem Abend war. Ich kann vorwegschicken, dass mich ProvinzTheater mit ihrer abholend positiven Aura und ihrem musikalischen Festsattelkönnen nach anfänglicher Eingewöhnungsphase/Mind-Opener-Slow-Start dann im Zuge ihres Livesets schließlich doch so weit hatten, dass ich mir diese Herren der Kreativabteilung auf den Zettel für einen zweiten Livebesuch in der näheren Zukunft geschrieben habe. 

Pawel Kowalczik (Gesang) gab mir deren bereits 2.012 erschienes-, schlicht betiteltes ErstVolllängenAlbum "Tonträger" mit auf dem Weg und betonte nachdrücklich, dass das schon etwas "älter" sei. Da Musik aber bestenfalls zeitloser Natur ist (was hier definitiv zutrifft!) und ich Musik -egal aus welchem Genre- wertschätze, versprach ich (unaufgefordert) eine Review zu verfassen, here we go. :-)

Artwork und (optischer) Ersteindruck vom ProvinzTheater schicken einen unweigerlich ins Steam-zugeneigte Metier. Zwischen 20er Jahre Flair und alternativem Zeitgeist wird der Elefant kurzerhand mit Luftballons in die Lüfte geschickt. Das Pferd fliegen lassen kann jede/-r, der/die aus dem Sattel zu fallen weiß. ;-)  Der Chronologie folgend öffnet "Anfang" (Track 1) den Vorhang und lässt die Spannung hörspielartig steigen, um mit "5 von 7" (Track 2) eine kleine Hymne der 5-Tage-(Arbeits-)Woche irgendwo zwischen Chanson, Kneipenkapellenmucke, kleinen Jazz-funken und steamigem Entertainment in einer kurzen Minute durch den Raum des erlebnisreichen Treibens zu schicken. 

Übrigens von der Produktion her sehr gut eingefangen und nahe am angenehm warmen Vinylsound wie man ihn vor allen von diversen '80er Jahre Produktionen kennt.

Die Themen sind so bunt wie die eingangs erwähnten Luftballons, lassen aber durchaus ernstere, hinterfragende Gedanken im Zeitenrundblick dank der Arrangements nicht bleiern auf dem Gemütsgrund plumpen. Im Gegenteil man wird in die "Freihandelszone" (Track 3; Anspieltip I) des ProvinzTheater mitgenommen und stellt fest, dass moderne Kapellenmucke wunderbar mit chaotischen Polka-nahem Radau und Seed-Sprenklern funktionieren und fusionieren kann, ohne sich zu sehr in Richtung Kommerz zu biegen. Das Ding hier läuft flüssig rund. 

Auch Sooul-iger Chanson (mit etwas Blues hintendrin) passt da bestens ran - "Das Provinztheater und der Tod" (Track 4). Der kleine, schwarze Humor schmiegt sich hier ans Ohr wie eine verschmuste Katze an ihren Lieblingsmenschen. Musik, die leicht im Raum liegt wie die kleinen Rauchschwaden in der gemütlichen Eckkneipe im Herbst.

Ein weiterer Hörspieleinspieler "Im Super 2000" (Track 5) öffnet die Türen zum "Supermarkt des Lebens" (Track 6; Anspieltip II). Lyrisch grossartige Strophen wie "Ich glaub' ich lass' mir erst mal meine Stimmung operieren, vielleicht können die sich auch gleich an meinem Ego ausprobieren, man gewinnt dabei ja wirklich nicht an Attraktivität, wenn man schon so frustriert auf eine Party geht..." lassen es zu sich auch (fast beiläufig) selbst zu reflektieren und eignen sich auf wunderbare Weise die zu fest gezogenen Schrauben mal etwas aufzulockern, um nicht zu hüftsteif am Brett zu hängen. Dank der vollmundigen Instrumenummantelung muss man sich quasi das liebevoll gestaltete Booklet öfter mal beim Hören zur Hand nehmen, um die grossARTigen, abgedruckten Liedtexte nicht verpuffen zu lassen, da man teils genauer hinhören muss, um jedes Wort als komplettierenden Bestandteil auf- und mitzunehmen. 

Wer Humpa Humpa Rhythmen mag, sollte sich unbedingt mal hier einklinken. "Reklame 1" (Track 7) erinnert fast ein wenig an Die Ärzte in ihren besten Zeiten als deren Humor noch weit von ihrem Konto entfernt zu verorten war. 

Aber auch düster Cello-gestützt kann man die Wolken am Horizont des ProvinzTheater ziehen sehen, die ein Szenario im Rückblick malen - "Als die Flut kam" (Track 8). Natürlich, auch diese Facette gehört in ein gutes Theaterstück, das auf Noten basiert. Hier kommt vor allem das feinstimmige Akkordeon klasse zum Zuge. Einen sogenannten "dramaturgischen Bruch", den man neutral wie ein Ion hält, zieht mit "Pause" (Track 9; wörtlich zu nehmen) in 8 Sekunden vorüber wie ein Komet. Clever, denn der Stilwechsel zum Alternative Rock mit '70er Jahre Einflüssen -"Elephant Rock" (Track 10), die in jenen Tagen noch von Anton Stadler und Ludwig van Bockum an den Tasteninstrumentierungen her abgerundet wurden, um die Füsse zu lockern. Dabei kann man sich wirklich unter lockeren Flügelschlägen fallen lassen, vor allem Live. Etwas schade, dass man mit "Reklame 2" (Track 11) einen erneuten Höreinspieler hinterherschiebt, der die Stimmung etwas zu abrupt kappt. Dafür kommt aber mit "Luftpost" (Track 12; Anspieltip III) eine nachdenkliche Gänsehautballade, die unweigerlich tiefer reingeht. Schwierig zu umschreiben was genau "Luftpost" auslöst, aber auf jeden Fall absolut geeignet einfach mal die Augen zu schließen und den Alltag loszulassen, weil dieses Lied imstande ist zu erden und gewinnbringende Rückbesinnung mitbringt, was letztlich grossen Wert innehat. 

Die Deutsche Bahn AG dürfte sich über einen werbewirksamen Titel wie "Im RE7" (Track 13) freuen. Aber es wäre zu offensichtlich und zu einfach, denn auch dieses Hörspiel hat seinen Alltags-Inhalt. Seltsamerweise bekomme ich dank ProvinzTheater mit jedem weiteren Durchlauf immer mehr Lust auf Hörspiele, die dem Alltag entfliehen bzw. einen fiktiven Alltag an den eigenen Himmel malen. Auf der letzten Teilstrecke dieses Tonträgers fährt man jazzig im BluesChansonAbteil im "Express einsamer Herzen" (Track 14; Anspieltip IV) mit. Wem so manche Stelle bekannt vorkommen mag, der/die irrt nicht. Aber das findet am Besten jede/-r selbst raus. ;-) Zum Ende hin, darf die "Klage eines Totengräbers" (Track 15) noch einmal etwas schwerfälliger/schleppend durchziehen, um mit "Ende" (Track 16) im Polka-Ska-artigen Abgang die Bühne für diesen Tonträger zu verlassen.

Man kann nur hoffen, dass ProvinzTheater zwischenzeitlich bereits wieder im Studio tätig sind, denn ob zeitlos auf einem Medium geparkt oder temporär auf der Bühne, ein Erlebnis ist ihre Musik allemal!

9,0/10 Schafe Schüsse

(Eigenproduktion 2.015)

http://www.provinztheater.de/

https://m.facebook.com/Provinztheater/?ref=page_internal&mt_nav=1

http://provinztheater.bandcamp.com/

Danny B

Schaf Schüsse: 

9
Eigene Bewertung: 9

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